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Achim Wahl

Brasilien im Blickpunkt

Die Wahl des Rechten Bolsonaro – ein Land geschockt

Die Wahlergebnisse und der Block Boi - Biblia - Bala

Mit 55 % der Wählerstimmen wurde der ehemalige Hauptmann der brasilianischen Armee, Jair Bolsonaro, als Kandidat der PSL (Partido Social Liberal) zum Präsidenten des Landes gewählt. Für den Kandidaten der PT (Partido dos Trababalhadores), Fernando Haddad, stimmten 44%. 31 Mio. Brasilianer (das sind 21% der Wahlberechtigten) machten ihre Stimmen ungültig oder blieben der Wahl fern.

Die Wahlkampagne des Bolsonaro war antisystemisch. Sein Diskurs richtete sich sowohl gegen die Oppositionsparteien PSDB (Partido Socialdemocrato do Brasil) wie auch gegen die PT, geprägt von antifeministischen, machistischen, antidemokratischen und fremdenfeindlichen Aussagen. Er verherrlicht die Militärdiktatur der Jahre von 1964 bis 1985.

Die Wahl erbrachte den Fraktionen Boi (Ochse für Agrobusiness) - Biblia (Bibel für die religiösen Fundamentalisten) - Bala (Kugel für die Militärs/Polizei) die Mehrheit im Kongress und Senat. Bolsonaros Partei (PSL) wurde zweitstärkste Fraktion im Kongress nach der PT-Fraktion und gewann 16 von 27 Bundesstaaten (darunter Sao Paulo, Minas Gerais, Rio de Janeiro). Besonders stark erweiterte sich die Zahl der Abgeordneten ehemaliger Militärs im Kongress. Gemeinsam mit den Abgeordneten der Evangelikalen verfügen sie dort nun über eine komfortable Mehrheit.

Dagegen hat die PT ihre Wählerschaft im Norden/Nordosten nicht verloren, dort gewann sie vier Gouverneurswahlen. Das zeigt aber auch, dass Brasilien sozial und territorial ein gespaltenes Land ist.

Das im weiteren Sinne "linke Lager" war uneins. Eine Einigung auf einen gemeinsamen Kandidaten wurde nicht erzielt. Die Linke insgesamt erlitt eine eklatante Niederlage.

Das Kartell aus Medien, Justiz, Polizeiapparat und Staatsanwaltschaft, das die Operation "Lava Jato" ausführte, war dominant und ermöglichte das Aufkommen des Kandidaten der Rechten und Konservativen.

Dafür gibt es Beispiele: Das Oberstes Wahlgericht, z. B., erließ Verbote, Lula im Gefängnis zu interviewen. Oder verbot der PT die Publikation von Videos, die Berichte von Folteropfern des Obersten des Geheimdienstes, Ustra, der auch Dilma gefoltert hatte, zum Inhalt hatten. Bolsonaro hatte Ustra gar als Vorbild bezeichnet. Verboten oder verhindert wurde eine Untersuchung, dass über WhatsApp massenhaft Fake News verbreitet wurden. Der Einsatz von WhatsApp im Wahlkampf war beispiellos. Die Nutzung von WhatsApp zur Verbreitung von Fake News wurde möglich, da es eine enge Zusammenarbeit der Justizorgane Brasiliens mit dem FBI gab. Als 2014 die Operation "Lava Jato" begann, richtete sich dieses System im Verlaufe ihrer Realisierung immer mehr und v.a. gegen die PT. Es funktionierte selektiv. Das Rechtssystem wurde durch die angewandten Untersuchungsmethoden verändert. Das herbei geführte Chaos hebelte das demokratische System aus, d.h. die Justiz schränkte die Demokratie ein und verwandelte die juristische Ordnung in juristisches Chaos. Dieses Machtkartell wurde zum neuen Instrument des "sanften Putsches" gegen die Präsidentin Dilma (August 2016 - Amtsenthebung).

Die Ergebnisse der Operation "Lava Jato": Dutzende Politiker, Abgeordnete, Staatsangestellte, Minister etc. der verschiedensten Parteien, aber auch Vertreter der PT, wurden verhaftet und verurteilt. Schließlich traf es auch den Ex-Präsidenten Lula, der mit fadenscheinigen Argumenten zu 12 Jahren Gefängnis verurteilt wurde und seit Juni dieses Jahres in Haft ist.

All das diente dem Wahlkampf Bolsonaros, der wurde unterstützt von diesen und externen Kräften. Dabei half ihm die Durchdringung der brasilianischen Bevölkerung mit Facebook/WhatsApp. (83% nutzen WhatsApp), sodass Fake-News und Lügenkampagne sichtbare Erfolge bei der Bevölkerung erzielten.

Bolsonaro, schon 30 Jahre tätig als Politiker und Mitglied des Abgeordnetenhauses, wurde ausgewählt und gefördert durch eine Gruppe Militärs, die besonders jetzt nach der Wahl ihren Einfluss geltend machen. Dazu gehören der gegenwärtige Minister des Kabinettes für Sicherheit, General Augusto Heleno, der General Eduardo Villas-Boas, gegenwärtig Oberkommandierender der Armee, und Hamilton Mourao, General a.D., als gewählter Vizepräsident. Bolsonaro errang die Unterstützung dieser Generäle, als er 2014 in der Militärakademie diesen versprach, "in Brasilien Ordnung zu schaffen", d.h. mit "kommunistischen Umtrieben" Schluss zu machen.

Der Charakter der Regierung Bolsonaro

Ausgerichtet auf die komplette Ablehnung der PT aber auch anderer "Systemparteien", wurde die Wahlkampagne, die geprägt war von Drohungen, von "Säuberungen" und der Diffamierung sozialer Bewegungen als "terroristische Organisationen", zur Grundlage der Regierung Bolsonaros.

Bolsonaro ist nicht nur schlechthin ein "Trump Südamerikas", seine Positionen werden geprägt von faschistoiden Zügen. Die PT und die Linken wurden zum Feindbild aufgebaut.

Es steht in Brasilien ein kompletter Bruch mit der Zeit der PT-Regierungen und der Einleitung eines Prozesses zur ultraneoliberalen Umorientierung des Landes bevor. Dem brasilianischen Kapital und Teilen der brasilianischen Bourgeoisie, die mit dem internationalen Kapital verbundenen sind, geht es um unumschränkte Ausübung der Macht. Eine Politik des Ausgleichs, die Lula realisierte, ist vorbei und wird durch einen Klassenkampf von oben ersetzt. Das wird unterstützt durch die neue Rechte, die nicht nur in Brasilien entstand.

Es stellt sich die Frage, inwieweit die Ereignisse in Brasilien Vorboten oder Kennzeichen der sich verschärfenden Krise des Kapitalismus sind, die seit 2008 anhalten und nicht als "gewesen" abgetan werden können.

Stehen den Eliten keine weiteren politischen Instrumente zur Verfügung, als nun mit drastischen Maßnahmen, d.h. der Durchsetzung eines autoritären, vielleicht sogar faschistoiden Regimes zu reagieren?

Steve Bannon, der Stratege der Trump-Wahlkampagne, der sich aktiv an der Kampagne Bolsonaros beteiligte, meinte "in einem Teil der Welt, in dem es einen radikalen Sozialismus gibt, in dem Chaos wie in Venezuela herrscht und eine Wirtschaftskrise ist, wird Bolsonaro den Weg eines `aufgeklärten` Kapitalismus gehen und ein populistischer und nationalistischer Präsident sein."

Wesentliche Veränderungen, die zu erwarten sind

Grundsätzlich sind drei wesentliche Veränderungen, die die veränderte Position Brasiliens bestimmen werden, zu nennen:

Erstens: Eine verstärkte und direkte Annäherung an die USA und Entwicklung der militärischen Beziehungen zu den USA und Israel. Das ist schon verbunden mit einer verstärkten Tätigkeit militärischer Unternehmen in Brasilien. Die defacto Regierung Temer gestattete 2017 erstmalig eine US-Beteiligung an einem Manöver im Amazonasgebiet- Operación América Unida - an der Grenze Brasiliens, Perús und Kolumbiens. Damit wurde eine direkte Hinwendung zur verstärkten militärischen Zusammenarbeit mit den USA und ihrer ständigen Anwesenheit auf dem Staatsgebiet Brasiliens eingeleitet.

Willkommener Anlass zur Verstärkung der Zusammenarbeit auf militärischer Ebene ist der Drogenkrieg. Für den Einsatz von brasilianischem Militärs gegen die Drogenmafia in Rio de Janeiro lieferten die USA 2016 50 Militärfahrzeuge verschiedenster Bestimmung. Diese "Schenkung" erfolgte im Rahmen des "Programms des Waffenverkauf ins Ausland". (www.cartacapital.com.br, 28.11.2018)

Während des Vorwahlaufenthaltes Bolsonaros in den USA besuchte er vornehmlich militärische Unternehmen. Bolsonaro kritisierte besonders Lula, der verhindert hatte, dass die USA Zugriff auf die brasilianische Militär- und Raketenversuchsbasis in Alcantara (Staat Maranhao) an der Grenze zu Venezuela bekamen. Das wird sich nun ändern.

Zweitens wird Bolsonaro, unterstützt und gefördert durch seinen zukünftigen Wirtschaftsminister, Paulo Guedes, einem gelernten Chicago-Boy, zur offen neoliberalen Agenda zurückkehren, Kurs auf die Einschränkung sozialer Rechte und einer drastischen Einschränkung der Tätigkeit des Staates mit verstärkten Privatisierungen (bes. im Bereich der Energiewirtschaft, der Petrobras) nehmen und Brasilien dem internationalen Kapital öffnen.

Einige Beispiele: der Verkauf der Banco Central an die Bank of America, die Förderung privater Banken wie Bradesco, Itaú, Santander. Die Rolle der Entwicklungsbank BNDES wurde und wird weiter eingeschränkt, die 2017 nur noch 70 Mrd. Reais gegenüber 2010 von 275 Mrd. Reais an nationale Unternehmen vergab. Weitere Privatisierungen sind geplant. Es steht der Verkauf weiterer Lizenzen zur Ausbeutung von Ölfeldern der Pre-Salt-Vorkommen an US-Unternehmen bevor.

Experten gehen gegenwärtig davon aus, dass die Wirtschaftspolitik Bolsonaros/Guedes sich als sehr widersprüchlich darstellt (s. dazu auch zum Mercosur).

Drittens wird Bolsonaro mit Hilfe seines neuen Justizministers Moro, der die Verurteilung Lulas als Richter der ersten Instanz vornahm, den Ausbau des Polizei- und Justizapparates vorantreiben.

Bolsonaro besetzt wesentliche Positionen seiner Regierung mit ehemaligen Militärs. Der gewählte Vizepräsident ist General Hamilton Mourao, weitere Militärs sind der Chef des Sicherheitskabinettes, der Chef der Agentur für Aufklärung, der Verteidigungsminister, der Kabinettschef der Staatsanwaltschaft, der Minister für Wissenschaft und Technologie und der Minister für Infrastruktur sein. Zum Chef der Präsidialkanzlei wurde General Carlos Alberto dos Santos Cruz ernannt, der für die Verbindung der Präsidentschaft zum Kongress verantwortlich ist. Dazu sind die Militärs zu zählen, die im Abgeordnetenhaus die Politik der Bolsonaro - Regierung betreiben werden.

Zu erwarten ist somit eine Regierung mit ausgeprägt neoliberaler, konservativer Orientierung, eine Verbindung zwischen faschistoider autoritärer Staatsform mit dem Ultraneoliberalismus.

Ausgewählter Gegner der Regierung Bolsonaros ist die politische und soziale Linke. Überrascht von der Wahl Bolsonaros zum Präsidenten, kämpft sie gegenwärtig um die Herstellung ihrer Einheit in der zu erwartenden harten Offensive gegen sie. Noch ist sie vorrangig mit der Analyse der entstandenen Situation beschäftig, weiß aber gleichzeitig, dass sie einer verschärften Repression ausgesetzt sein wird. Die Schaffung einer demokratischen und antiautoritären Einheitsfront steht, ebenso wie die Forderung "Freiheit für Lula", auf der Tagesordnung.

Allerdings wird die Regierung mit einer Reihe bedeutender Herausforderungen konfrontiert. Die Armutsrate stieg von 25,7% (d.h. 52 Mio. Menschen) 2016 auf 26,5% (54,8 Mio. Menschen). Die Ungleichheit der Lohnzahlungen zwischen Mann und Frau, Schwarz und Weiß verstärkte sich, die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen liegt bei 22,6%. Zu verzeichnen ist eine Zunahme informeller Arbeit.

Zur Lösung der krisenhaften Wirtschaftsprobleme will der zukünftige Wirtschaftsminister Guedes eine Absenkung der Zölle auf Importe realisieren, was sich für die relativ abgeschottete brasilianische Wirtschaft katastrophal auswirken würde.

Die zukünftige Position Brasiliens in Lateinamerika und der Welt

Dazu Bolsonaro wörtlich: "Brasilien muss sich von der globalistischen Ideologie befreien. Im Geist Jesus Christus muss der Kampf gegen den Globalismus, dessen einziges Ziel darin besteht, Mensch und Gott zu entfremden, geführt werden". Konkret heißt das für ihn: Kampf gegen die bolivarische Revolution in Lateinamerika, gegen das "maoistische China, das die Welt beherrschen will."

Bolsonaro wird einen Bruch der bisher traditionellen Außenpolitik Brasiliens einleiten, die immer auf Vermittlung und Ausgleich bedacht war. Bolsonaro will die "Außenpolitik von ideologischen Zügen" befreien. Seine Äußerungen bezogen sich vornehmlich auf China, Kuba, Venezuela und arabische Staaten, die er als "terroristische Gefahr" betrachtet. Seine Politik gegenüber der arabischen Welt wird geprägt sein vom Kampf gegen die "islamistische Gefahr", für einen neuen "Pannationalismus".

Seine Äußerung, die Botschaft nach Jerusalem zu verlegen, wurde von einigen arabischen Staaten kritisiert, sodass er vorerst den Rückzug antrat. Bisher gibt es noch keine Äußerungen zu Palästina, zu dem Brasilien seit 1975 diplomatische Beziehungen unterhält. Aber klare Aussagen zu Israel: "Die neue Regierung wird völlig neue Beziehungen zu Israel entwickeln." Deshalb steht es auch auf der Liste der zuerst zu besuchenden Länder neben Chile und den USA.

Seine bisherigen Äußerungen zum Thema Außenpolitik erscheinen im Hinblick auf die Realität als diffus und wenig durchdacht. Die Ernennung des neuen Außenministers, eines Karrierediplomaten, Ernesto Araújos, gegenwärtig Leiter der Abteilung USA, Kanada, Interamerikanische Beziehungen, seit 29 Jahren im Außenministerium Brasiliens tätig, ergibt jedoch schon ein genaueres Bild. In dessen Blog "Metapolítica" bezeichnet Araújo die "PT als terroristische Partei". Nach seinem Willen soll Brasilien ein prosperierendes Land werden. Er gilt als der Ideologe Bolsonaros in der Außenpolitik und wird als intelligent und wissend beurteilt.

In einem Text Araújos wird seine fundamentalistische religiöse Position deutlich: "Der Globalismus ist ein ökonomisches Projekt, das von einem kulturellen Marxismus getragen wird. Es ist ein antihumanes und antichristliches System. Der Geist Christus bedeutet heute, gegen den Globalismus zu kämpfen, dessen eigentliches Ziel darin besteht, die Verbindung des Menschen zum Gott zu zerstören. Es will den Menschen zum Sklaven und Gott irrelevant machen. Das metapolitische Projekt heißt, sich in der Politik und der Geschichte gegenüber der Anwesenheit Gottes zu öffnen."

Vertreter dieser Auffassungen sehen Trump und Bolsonaro als "Retter der westlichen Zivilisation". Sie wollen Brasilien zugehörig machen und einfügen in die "westliche Seele", die charakterisiert wird durch Werte wie Familie und Gott, allerdings eines Gottes der Waffen, weniger der Liebe. Sie sind es, die die westliche Welt vorm Verfall retten wollen.

Zu erwartende Position zu internationalen Abkommen: Die Außenpolitik muss sich gegen das "Dogma des Klimawandels, das die Linken propagieren, richten." Damit steht die weitere Beteiligung Brasiliens am Pariser Abkommen zur Debatte. Auch hier kündigt sich eine Kehrtwende an, denn Brasilien war, beginnend mit der Vereinbarung von Kyoto (1997) und der Rio-Klimakonferenz (2012), ständig für diese internationalen Vereinbarungen. Nun wurde zudem bekannt, dass Brasilien seine Bewerbung für die Ausrichtung der 25. Konferenz zum Klimaabkommen der Vereinten Nationen (COP 25) 2019 zurückzieht.

Besorgnisse rufen ebenfalls Äußerungen in Bezug auf das Amazonasbecken hervor. Diese deuten darauf hin, dass Bolsonaro beabsichtigt, es für das Auslandskapital zu öffnen.

Positionen zu Lateinamerika:

Zu Venezuela:

Bolsonaro wird gemeinsam mit Kolumbien, das inzwischen assoziiertes Mitglied der NATO ist, gegen Venezuela Front machen. Nach dem Besuch des Sicherheitsberaters Trumps, Bolton, der einen Zwischenstopp in Rio de Janeiro auf der Reise nach Buenos Aires zum Treffen der G20 einlegte, erklärte Bolsonaro auf einer Pressekonferenz, dass "Venezuela ein Problem darstelle, für das wir Lösungen suchen müssen. Maßnahmen müssen unternommen werden. Wir wissen, dass sich dort 80.000 Kubaner aufhalten. Es wird schwer sein, Venezuela aus dieser Situation herauszuholen. Wir werden alle legalen und friedlichen Mittel nutzen, um das Problem zu lösen." (zitiert nach www.brasil247.com vom 6.12.2018)

Auf einem Treffen konservativer Vertreter ("Cumbre conservadora de las Américas") am 11.12.18 im brasilianischen Foz de Iguazú, das der Sohn Bolsonaros, Eduardo Bolsonaro, organisiert hatte, wurde erklärt, dass "die Stunde gekommen ist, unsere Ideen zu ordnen, um eine bessere Welt zu schaffen, in der das Individuum im Mittelpunkt steht und nicht das Kollektiv oder der Staat."

Beziehungen zu Kuba:

Gegen die 8.000 in Brasilien tätigen kubanischen Ärzte (seit 2013 lt. Vereinbarung mit brasilianischer Regierung) wurden öffentlich Forderungen nach Nachweis ihrer fachlichen Qualifikation und beleidigende Äußerungen laut, was die kubanische Führung zum Schutz ihrer Staatsbürger veranlasste, deren sofortige Rückberufung einzuleiten. Nicht auszuschließen ist, dass Bolsonaro die diplomatischen Beziehungen mit Kuba abbrechen will.

Zum Mercosur:

Besonders der zukünftige Minister Guedes positionierte sich gegen die Festigung des Mercosur und zeigte sich als gänzlich uninformiert, da er nicht einmal wusste, welche Länder dem Mercosur (einer Zollunion zwischen Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay, Venezuelas Mitgliedschaft wurde 2017 suspendiert) angehören. Nach Guedes soll der Handelsaustausch als Freihandel realisiert werden, sodass Neuverhandlungen zu erwarten sind. Brasiliens Handel mit den Mercosur - Ländern macht in der Gesamtaußenhandelsbilanz nur 9% aus. Allerdings ist besonders Argentinien Absatzmarkt für die brasilianische Autoindustrie. Die existierende Asymmetrie in den Handelsbeziehungen Brasiliens mit den Mercosur- Ländern würde sich verstärken. Ähnlich verhält es sich mit dem Export landwirtschaftlicher Produkte, da die Agrarlobby ihre Exporte in die Nachbarländer absichern will. Käme es zu einer Absatzkrise, wäre eine Reaktion der transnationalen Pkw-Produzenten (bes. VW) und der Agrarlobby zu erwarten.

Angestrebt wird eine Öffnung Brasiliens gegenüber der Pazifischen Allianz (Chile, Peru, Kolumbien). Interimspräsident Temer schloss noch vor Beendigung seiner illegitimen Amtszeit ein Freihandelsabkommen mit Chile ab, womit nach seinen Worten der Weg zur Integration mit der Pazifischen Allianz geöffnet wurde.

Es ist zu erwarten, dass die bisher auf lateinamerikanische Integration ausgerichtete Politik Brasiliens verändert wird und Zusammenschlüsse wie die Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR) und die Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (CELAC) ihres Inhaltes entleert werden.

Beziehungen Brasilien - China

Ein besonderer Schwerpunkt in den zukünftigen Beziehungen zu den USA ergibt sich aus der Präsens Chinas und Russlands im "Hinterhof" der USA. Diese werden in den USA als Gefahr für ihre nationale Sicherheit angesehen. Den Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit Chinas mit Brasilien, aber auch mit Venezuela, Argentinien, Bolivien und anderen Ländern, die nicht nur eine Konkurrenz für die USA darstellen, beantwortet die US-Administration mit dem territorialen Ausbau von Militärbasen, verstärktem Waffenexport und gemeinsamen Manövern und Ausbildungsmaßnahmen.

Zu den Beziehungen Brasiliens zu China sagte Bolsonaro: "China kann uns mit seinen Kapitalinvestitionen nicht aufkaufen. (gemeint sind die Land- und Unternehmenskäufe, die China in Brasilien tätigt), die Handelsbeziehungen werden wir aber aufrechterhalten." (Im Gespräch mit dem chinesischen Botschafter).

Bolsonaro verärgerte China, da er auf seiner ausländischen Werbetour Taiwan besuchte, wogegen die chinesische Regierung umgehend protestierte.

Allein 50% der Außenwirtschaftsbeziehungen China - Lateinamerika entfallen auf Brasilien. Lateinamerika ist für China ein Rohstoffexporteur. 90% aller chinesischen Investitionen zwischen 2010-2013 wurden in Rohstoffprojekten angelegt. In Brasilien hat China in den letzten 15 Jahren über 25 Mrd. US-Dollar investiert, vorwiegend in die Erdöl- und Gasförderung. Das chinesische Unternehmen Sinopec baut eine Gasleitung, die den Südosten mit dem Nordosten Brasiliens verbindet. 2009 wurde mit der Petrobras ein Vertrag über einen Kredit in Höhe von 10 Mrd. US$ vereinbart. Sinopec erwarb Beteiligungen an in Brasilien tätigen ausländischen Erdölfirmen.

Bevorzugt sind weiterhin Bergbauprojekte in Brasilien. Der Export Brasiliens von Eisenerz nach China betrug im Jahre 2009 56,4% der Gesamtproduktion (in die BRD nur 5%).

Die chinesischen Investitionen konzentrieren sich auf Bergbauprojekte, Infrastruktur, Telekommunikation, Landkäufe und Energie, während andere Finanzinstitutionen in Finanzgeschäfte, Bildung, Gesundheit, Umwelt und öffentliche Verwaltung investieren. Chinesische Kredite sind zu einer wichtigen Finanzierungsquelle für Länder wie Brasilien, Argentinien, Ecuador und Venezuela geworden.

Bedeutend sind zwei Großprojekte, die zur Zeit der Präsidentschaft Dilma Rousseffs auf Regierungsebene vereinbart wurden. Das ist das Projekt des Baus einer Eisenbahnverbindung, der Ferrovia Transcontinental, zwischen dem Atlantischen Ozean und dem Pazifik. Das zweite Großprojekt ist der Bau einer Hochspannungsleitung von Altamira (Staat Pará) bis zum Staat Sao Paulo über mehr als 2000 km, die mit einer Ultrahochspannung von 500 bis 800 Kilovolt betrieben werden soll. Der Bau der Elektrotrasse soll vom chinesischen Unternehmen State Grid Corporation of China (SGCC) in Kooperation mit der brasilianischen Eletrobras ausgeführt werden. Die Finanzierung des Großprojektes erfolgt zu 55% durch die staatliche brasilianischen Entwicklungsbank BNDES und zu 10% durch die SGCC.

China ist seit 2009 Brasiliens Handelspartner Nummer Eins. Brasilianische Exporte werden gefährdet, wenn es zwischen China und den USA zu einer Übereinkunft erhöhter Sojaimporte aus den USA nach China kommt. Bolsonaro muss mit einer Reaktion des Agrarbusiness (die Sojaexporte machen ca. 30% des Exports Brasiliens nach China aus = 80 Mio. Tonnen 2018) rechnen, wenn weniger landwirtschaftliche Produkte nach China exportiert werden.

Mit der Wahl Bolsonaros tritt die Auseinandersetzung USA - China in Brasilien (und darüber hinaus in Lateinamerika) in eine neue Phase. Schon mit dem Wechsel der Präsidentschaft Rousseffs auf Interimspräsident Temer reagierte China äußerst pragmatisch. Scheinbar unbeeindruckt von der Entwicklung in Brasilien fand am Rande des G20 - Treffens in Buenos Aires eine Zusammenkunft der Präsidenten der BRICS - Staaten statt. In einer Erklärung positionierten sie sich gegen Handelskrieg, sprachen sich für Multilateralismus im Rahmen der UNO und der WHO und gegen Protektionismus aus. Interimspräsident Temer, der an der Tagung teilnahm, stimmte dieser Erklärung zu, wobei er nur eine Außenseiterrolle spielte.

Offen ist damit auch die zukünftige Haltung Brasiliens zu den BRICS, die in den Äußerungen der neuen Vertreter Brasiliens in Frage gestellt wird. Es bleibt abzuwarten, wie die neue Regierung Brasiliens sich positionieren wird. Folgt sie der Politik der USA, wird sie innerhalb der BRICS versuchen, eine Spalterrolle einzunehmen oder sich, gezwungen durch die realen Umstände, in bestimmter Weise an der Tätigkeit der BRICS beteiligen.

Es gilt US-Präsident Nixons Ausspruch: "Wohin Brasilien geht, geht auch der Rest Lateinamerikas," denn es formiert sich eine neoliberale Front, die beginnend mit Macri in Argentinien, sich über Peru, Kolumbien und einigen mittelamerikanischen Ländern erstreckt. Lopez Obrador in Mexiko wird es schwer haben, sich gegen diese neue rechte Front zu behaupten.

Was Trump und andere Kräfte umtreibt, ist die bröckelnde Dominanz der USA in Lateinamerika. Die Existenz linksgerichteter Regierungen und Bewegungen, die sich nicht im Sinne der strategischen Linie der USA bewegten, ist ein wesentlicher Ausgangspunkt für Trumps Losung, »Amerika wieder groß zu machen«. Das erinnert die Lateinamerikaner an die historischen Erfahrungen mit der aggressiv-interventionistischen Politik des »Big Stick« (»Großer Knüppel«) und der Monroe-Doktrin, die 1823 von den USA (»Amerika den Amerikanern«) formuliert wurde. Sein diente als politisch-ideologische Rechtfertigung für die Interventionspolitik der USA im zentral- und südamerikanischen ›Hinterhof‹. Diese Doktrin, so die Befürchtung, könnte durch die Trump-Administration eine Wiederbelebung erfahren. Damit droht eine neue Welle politischer Destabilisierung und ökonomischer Zerrüttung, die mit der Wahl Bolsonaros in Brasilien Auftrieb erhalten hat.

Die ersten Wochen der Regierung Bolsonaro

Aktuell hat Bolsonaro mit Vorwürfen wegen Geldwäsche und Korruption zu kämpfen, in die einer seiner Söhne und seine Ehefrau verwickelt sind. Vizepräsident Mourao hat, entgegen des Sprechverbotes Bolsonaros, gefordert, dass geklärt wird, wohin Geld geflossen ist und die vorgenommenen Transaktionen geklärt werden. Einzelne Medien wie der "O Globo" und die "Folha de Sao Paulo" reagieren, sprechen von einem Bolsogate und fordern Aufklärung.

Mit Abschluss der Bildung der Regierung, in der Vertreter des Agrobusiness, der Militärs und religiöse Fundamentalisten als Minister nominiert wurden, zeigt sich, dass die von Bolsonaro und anderen Vertretern seines Lagers angekündigte Maßnahmen umgesetzt werden. Bolsonaro erklärte die Agrarreform für beendet, will die Einschränkungen des privaten Waffenbesitzes aufheben, beendete die Tätigkeit der Behörde für die Markierung indigener Gebiete und will das Amazonasgebiet für das Agrobusiness öffnen. Außenpolitisch setzt Bolsonaro die Linie fort, die er im Wahlkampf vertreten hat. Besonders deutlich wurde er während seines Aufenthaltes in Davos. Dort erklärte Bolonaro vor Pressevertretern: "Wir wollen kein bolivarisches Lateinamerika wie vorher in Brasilien und in anderen Ländern. Ich sorge dafür, dass die Linke in Lateinamerika nicht dominieren wird."

Allerdings zeigt sich, dass Bolsonaro über kein klares Regierungsprogramm verfügt, was sich an der Zurücknahme bestimmter Äußerungen zeigt, und wenn es aus eigenen Kreisen Widerstand gibt.

Insbesondere trifft das auf den Vizepräsidenten Hamilton Mourao zu, der während der Abwesenheit und des Krankenaufenthaltes Bolsonaros Interimspräsident war und u.a. äußerte, dass sich Brasilien an keiner militärischen Aktion gegen Venezuela beteiligen werde. Im gleichen Sinne sprach er sich gegen eine Verlegung der brasilianischen Botschaft nach Jerusalem aus und empfing zur Zeit der Abwesenheit des Präsidenten in seinem Amtssitz eine palästinensische Delegation. In gewissen Widerspruch zu Bolsonaro setzte er sich auch in Bezug auf die Beziehungen Brasiliens zu China. Bolsonaro, der China nicht zu den Freunden Brasiliens zählt, aber weiß, welche Bedeutung das Land wirtschaftlich für Brasilien hat, will die Beziehungen zu China weiterführen, provozierte China aber mit seinem Besuch in Taiwan. Mourao dagegen sieht für sich eine Reise nach China vor, um an der Tagung der bilateralen Kommission Brasilien - China teilzunehmen.

Nach Meinung von politischen Beobachtern können das Auseinandersetzungen zwischen dem engeren Bolsonaro - Lager und anderen Kräften, vor allem militärischen, sein, die in Zukunft zu beachten sind. Der Vizepräsident Mourao als Vertreter der obersten Generalität wird bestrebt sein, seine Rolle auszubauen und nicht schlechthin nur "Vertreter" des Präsidenten zu sein. Neben Mourao sind es der Kabinettschef Heleno, Villas Boas und dos Santos Cruz als Regierungssekretär, die informell eine Junta bilden und die Geschicke Brasiliens zukünftig bestimmen werden. Die Vorbereitungen zur Sicherung ihrer Positionen wurden in den Jahren 2015 - 2016 mit dem parlamentarischen Putsch gegen Dilma Roussef und der Verhinderung der Kandidatur Lulas gelegt. Diese Generäle können mit der Unterstützung der traditionellen Eliten rechnen, angeführt von den Marinhos, der im Globo - Imperium sein Urteil zu Bolsonaro gesprochen hat: "Es wäre naiv zu glauben, dass Bolsonaro sich als Präsident aufführen und die Regierungsverantwortung übernehmen kann", womit eindeutig seine Rolle beschrieben wird und aufgedeckt wird, wer die Macht in Brasilien ausübt. (zitiert nach "Estado de Sao Paulo, 19.2.2019)

Ausgeschaltet wird der Familienclan Bolsonaro, in dem die Söhne Bolsonaros eine Rolle spielen, da sie über politische Positionen verfügen und engere Verbindungen zu rechten Kräften, unter anderem Beziehungen zu rechten, fundamentalistischen Kreisen in den USA (s. Bannon) unterhalten.

Angesichts diese Szenariums wird die konservative Offensive der rechten Kräfte in Lateinamerika verstärkt. Progressive Entwicklungen werden es schwer haben, sich in den nächsten Jahren durchzusetzen. Brasilien, das auf dem Wege war, ein bedeutender internationaler player, und seiner Größe und Bedeutung entsprechend, unabhängig zu sein, wird unter Führung der gegenwärtig dominierenden Kräfte zurückfallen und international an Bedeutung verlieren.